Obwohl die beiden Dagegen-Initiativen bereits deutlich länger bestehen als die Pro-Bewegung, ist deren mediale Präsenz eine eher in einem bescheidenen Rahmen agierende Organisation. Dies zeigt sich bereits in der Facebook-Präsenz: vor dem grossen Run auf die Präsenz von aufgeMUCkt gestern morgen hatte diese Seite bescheidene 2.862 User, die sie “liken”. “München gegen die 3. Startbahn” hat bis heute lediglich 699 “Liker”. Nicht viel für eine Bürgerinitiative, die von einer Partei getragen wird, die selbst über 1.100 “Freunde” zu ihrer Onlinepräsenz in München zählen kann. Gerade bei der Umland-Initiative muss man berücksichtigen, dass sie selbst vorgibt, mehr als 300.000 Betroffene zu “vertreten” und im Planfeststellungsverfahren über 80.000 Einwendungen erhoben wurden.
Ein Vergleich dazu: die beiden Pro-Bewegungen “JA zur 3. Startbahn” und “München pro 3. Startbahn” haben 2.721 Liker beziehungsweise 1.716 Like. Die Pro-Stuttgart 21-Initiative hat bis heute über 170.000 Liker, während die Parkschützer rund 96.000 Liker haben. Hier muss man mit einrechnen, dass die mediale Ressonanz durch die Unruhen, die von den Contra-S21-Bewegungen ausgegangen sind, ungleich grösser gewesen ist. Bisher sind in München solche Unruhe nicht aufgetreten.
Man muss die Hintergründe beleuchten, vor denen die beiden Seiten in München agieren: Die beiden Dagegen-Initiativen werden hauptsächlich von Bündnis 90/Die Grünen getragen – eine Partei, mit einer eher netz-affinen Mitgliedschaft. Sie erreichen zwar nicht nicht die Online-Präsenz einer Piratenpartei. Die meisten ihrer Funktionsträger sind aber auf allen Online-Kanälen präsent. Anders die Pro-Initiativen, die neben den grossen Parteien CSU, SPD und FDP vor allem von der Wirtschaft getragen werden. Horst Seehofer hat zwar Anfang Mai eine Facebook-Party veranstaltet und hier einige Schlagzeilen produziert. Aber mit die Führungskräfte der Parteien und Unternehmen sind online eher wenig präsent. Und dennoch: sie haben deutlich mehr “Follower” als die Dagegen-Initiativen.
Vor diesem Hintergrund wäre es folgerichtig, wenn die grün-affinen Initiativen eine hohe Ressonanz in der Netzgemeinde hätten. Derzeit kommen sie aber nicht einmal an die Zahlen heran, die die Parteiseite hat und dies spricht dafür, dass das vorstandsgesteuerte Bürgerbegehren – Initiator bei den Grünen war der Landesvorsitzende Dieter Janecek – auch innerhalb des grünen Stadtverbandes keine wirkliche Mehrheit besitzt.
Bereits diese Zahlen zeigen, dass der Rückhalt der Dagegen-Initiative zwar in Freising und Teilen des Erdinger Landkreises gross ist. Aber bereits hier hat nicht aufgeMUCkt diesen Rückhalt, sondern die gemeindeliche Initiative, die von Landrat Michael Schwaiger geführt wird. In München wie im restlichen Bayern interessiert sich die Bevölkerung relativ wenig und die Infostände, die beide Seiten veranstalten, sind weitgehend leer. Und mehr als vier Monate brauchten die Münchner Grünen auch, um die notwendigen 30.000 Unterschriften zusammen zu bekommen. Auch dies zeigt, dass für ein solches Thema in München bislang kaum Interesse besteht.
Aber auch sonst sind die Berichte über den Münchner Bürgerentscheid in den Medien – auch den lokalen – nur sehr dünn gesät. Sie sind anlassbezogen und punktuell, wie die Vorstellung der Pro-Initiative im März 2012 oder die Kampagne “Zwei gewinnt”. Vergleicht man die Situation mit anderen Bürgerentscheiden in München – vor dem Online-Zeitalter – so wird auch hier deutlich, dass der mediale Ressonanzboden gering ist. Sowohl die Entscheidung zu den Münchner Tunneln 1996 oder “Unser München” (Hochhaus-Entscheid) 2004 diskutierte die Landeshauptstadt lebhaft.
Dies ist 2012 anders, so dass der Bürgerentscheid eher eine Diskussion des Stadtrates und seiner Parteien ist.
Was aber sind die Gründe für das Desinteresse der Bevölkerung an dem Bürgerentscheid und dem Flughafenausbau?
- Die Bürger wollen den Ausbau. Sie wissen, dass eine Weltstadt wie München – die Münchner sind nicht nur Stolz auf ihr “Anders sein”, sondern auch auf den internationalen Ruf ihrer Stadt – einen leistungsfähigen Flughafen braucht. Wie auch in vielen anderen Städten ist in den Augen der Menschen die Anbindung an die Welt ein wichtiger Faktor für das Lebensgefühl.
Anders als in anderen deutschen Städten ist nicht nur die Stadt selber, sondern auch die Bevölkerung relativ wohlhabend und nutzt deshalb die Möglichkeiten, die direkte Flüge in alle Welt bietet. Sie wollen hierfür nicht über Frankfurt, London oder andere europäische Drehkreuze fliegen – sie wollen direkt in die Ferne oder ans Mittelmeer gelangen. Alles andere würde dem eigenen Selbstverständnis entsprechen, denn im diesem Selbstverständnis ist Frankfurt eine eher provinzielle Stadt und mit London oder Paris fühlt man sich auf einer Stufe. Dazu zählt auch der internationale Luftverkehr, nicht nur das Nachtleben oder die Kongresse.
- München ist eine Stadt, die vom internationalen Flair und dem Tourismus lebt. Das Oktoberfest ist nur ein Beispiel dafür, aber auch die vielen Messen und Kongresse sind für das Image der Stadt wichtig – und damit auch für das Selbstwertgefühl der Stadtbevölkerung. Für sie gehört ein Flughafen deshalb auch dazu.
- Der Flughafen ist weit vor den Toren der Stadt gelegen. Der städtische Wirtschaftsreferent – und SPD-Kandidat für den Münchner Oberbürgermeister 2014 – hat deshalb eines der zentralen Argumente der Dagegen-Initiativen entkräften können. München ist sowohl lärm- wie abgasmässig kaum vom Ausbau betroffen und wenn die Münchner an ihren weiss-blauen Himmel schauen, entdecken sie bereits heute immer mal wieder ein Flugzeug und selten hören sie es auch – aber es beeinträchtigt ihr Lebensgefühl nicht.
Freising zählt auch nicht wirklich zu den Freizeit-Zielen der Münchner – sie orientieren sich nach Süden. Und wenn sie in den Norden fahren, dann bekommen sie den Flugverkehr nicht wirklich mit.
- Kommen die Menschen an ihren Flughafen spüren sie die Enge und den grossen Betrieb. Jeder Münchner kann auch mit eigenen Erfahrungen aufwarten, dass er lange auf sein Startrecht warten musste – und dies als lästig empfunden hat. Die Kapazitätsberechnungen, die die Flughafen-Gesellschaft vorgelegt hat und von den Münchner Parteien mit getragen wird, ist entspricht dem eigenen Erfahrungshorizont.
Aus Sicht der Münchner spricht alles dafür, dass der Bürgerentscheid eher ideologischen Überlegungen der Initiatoren entspricht. Der Fluglärm, dem die unmittelbaren Anwohner ausgesetzt sind, widersprechen sie nicht, aber sie gehen pragmatisch damit um: sie sprechen sich für eine Vergrösserung des Entschädigungsgebietes und die Erhöhung der Entschädigung aus. Ansonsten sehen sie es jedoch als nicht so schlimm, dass eine kleine Zahl von Anwohnern umziehen muss – zumal sie dafür entschädigt werden. Münchner sind es zudem gewohnt, dass irgendwo eine Strasse lärmt oder die S-Bahn an ihnen vorüber rumpelt.
Mit Ideologie hat der Münchner selbst wenig zu tun. Er will leben und seinen Wohlstand geniessen – auch wenn er durchaus caritativ eingestellt ist. Aber eben in der Stadt, das Umland interessiert den Münchner relativ wenig, wie auch Studien zum Verhältnis der Münchner Parteien zu ihren Umlandverbänden immer wieder bewiesen haben. Und wie es auch im Regionalen Planungsverband immer wieder – zuletzt im Streit um die S-Bahn – hervorbricht.
Die Grünen widersprechen mit dem von ihnen initierten Bürgerentscheid deshalb dem Lebensgefühl der Bevölkerung. Dem widerspricht nicht, dass die Partei in München Traumergebnisse einfährt – sondern es bestätigt eher die Mondänität, die München für sich beansprucht: man leistet sich die Grünen, die Grünen gelten als modern und hipp. Ökologie und Ökonomie sind bislang in München aber auch nicht aneinander geraten und als es beispielsweise um die Olympischen (Winter-) Spiele 2018 in München ging, waren die Grünen so pragmatisch, dass sie im Stadtrat zugestimmt haben. Sie haben sich hier programatisch verhalten und das Münchner Selbstbild nicht zerstört.
Es kommt aber noch ein anderer Faktor hinzu: die Münchner Parteien – mit Ausnahme der Grünen – stehen geschlossen hinter dem Flughafenprojekt und haben mit Oberbürgermeister Ude ein allseits beliebtes Zugpferd an ihrer Spitze – ein Bürgermeister, der München wohl mit am besten in der Moderne wiederspiegelt und sich vor allem um Themen gekümmert hat, die für die Münchner auch bedeutsam waren.
Die Pro-Initiative kann zudem auch alle Prominenz auffahren, die München zu bieten hat: Alfons Schuhbeck, Michael Käfer, Toni Riederer, Wolfgang Fierek, Joachim “Blacky” Fuchsberger, Reinhold Messner, Charlotte Knobloch – und noch zahlreiche mehr, die die Modänität und das Münchner Lebensgefühl wieder spiegeln.
Auf Seiten der Dagegen-Initativen sind recht unbekannte Parteifunktionäre, die alle in München kaum bekannt sind , als Sprecher aufgetreten. Und dies unterscheidet die Münchner Grünen auch von Stuttgart 21: die Parkschützer und andere Dagegen-Initiativen zu S21 hatten Prominenz und damit Werbeträger zu bieten.
Es wird also schwer für die Dagegen-Initiativen, Mehrheit und Quorum zu erreichen. Denn: alle drei erfolgreichen Bürgerentscheide in München (Mittlerer Ring 1996, Fröttmaninger Stadion 2001, Hochhaus-Entscheid 2004) waren getragen von Münchner Lokalprominenz und einer breiten Diskussion in der Stadt. Dies konnten die Dagegen-Initiativen mit einer eher hempsärmeligen Werbekampagne bisher nicht erreichen.
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